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Aktuelle Urteile

Urteile im  Arbeitsrecht

Ein Mitarbeiter soll seine Kollegin mit einem 20 Zentimeter langen Messer bedroht haben und wurde deshalb fristlos gekündigt. Zu Unrecht, entschied das LAG Schleswig-Holstein.


Die Drohung eines Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib und Leben gegen seine Arbeitskolleginnen genügt als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nur, wenn sie ernst gemeint ist und ernst genommen wird. Mit dieser Begründung hob das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein (Urt. v. 13.07.2023 – 5 Sa 5/23) die Kündigung eines Arbeitnehmers auf, der ein scharfes Messer in Richtung dem Hals seiner Kollegin geschwenkt haben soll.


Der Kläger ist seit 2019 als Industriemechaniker bei dem beklagten Unternehmen beschäftigt. Am 01. Juni 2022 arbeitete er mit einer Kollegin an einem Probierstand, an welchem eine Heringsanlage ausprobiert werden sollte. Für diese Arbeit setzten die Mitarbeitenden scharfe Filetiermesser ein. Eine Kollegin warf dem Kläger vor, ein etwa 20 Zentimeter langes Fischfiletiermesser auf der Höhe ihres Halses mit einem Abstand von 10-20 Zentimeter gehalten zu haben. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin dem Kläger mit der Begründung, er habe seine Kollegin bedroht und so das Vertrauensverhältnis mit dem Unternehmen irreparabel erschüttert. Es sei für das Unternehmen und die bedrohte Kollegin unzumutbar, dass der Kläger weiter im Unternehmen arbeite.


Gegen diese Kündigung wendete sich der Industriemechaniker mit der Kündigungsschutzklage gem. § 4 Kündigungsschutzgesetz, mit welcher er zunächst vor dem Arbeitsgericht Lübeck und nun auch vor dem LAG Schleswig-Holstein Erfolg hatte. Das LAG sah in dem Vorfall keinen hinreichenden Kündigungsgrund.


Nach § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch kann ein Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dies ist der Fall, wenn es für den Kündigenden unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzuführen.


LAG: Drohung nicht vorsätzlich

Das LAG stellte klar, die Drohung eines Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben von Arbeitskolleg:innen sei grundsätzlich ein Kündigungsgrund. Eine solche Drohung müsste aber von dem Arbeitnehmer vorsätzlich begangen und von der bedrohten Kollegin als ernst gemeint aufgefasst worden sein. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Selbst wenn sich der Vorgang so abgespielt habe, wie die Kollegin es schilderte, bedeute das nicht, dass der Kläger auch mindestens bedingten Vorsatz hatte, die Kollegin tatsächlich zu bedrohen, so das Gericht. Vielmehr sei es auch möglich, "dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist".


Auch rechtfertige eine fahrlässige Gefährdung von Leib und Leben der Kollegin im vorliegenden Fall keine außerordentliche Kündigung. "Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar", eine Kündigung komme, wie das LAG klarstellt, jedoch erst nach voriger Abmahnung einer ähnlichen Pflichtverletzung in Betracht.


Eine hilfsweise von dem Unternehmen zusätzlich ausgesprochene ordentliche Kündigung hob das LAG wegen fehlender sozialer Rechtfertigung ebenfalls auf.


Die Entscheidung ist rechtskräftig.


Quelle: hes/LTO-Redaktion

2. Mit oder ohne Unter­hose?

Fristlose Kündigung

Ein Mitarbeiter "tanzte" mit einem Deko-Flamingo und schwamm bei einer Betriebsfeier am Partyschiff im Rhein. Die Arbeitgeberin wollte den Mann loswerden – machte aber in Bezug auf die Unterhose einen entscheidenden Fehler. 


Das Verhalten von Marius S. bei der Nach-Corona-Betriebsfeier war der Arbeitgeberin zu viel: Als die Stimmung nachließ, ging der Mitarbeiter eines Aufzugsunternehmens gegen 22 Uhr von dem Partyschiff "Achterdeck" in Köln ans Ufer, zog sich bis auf die Unterhose aus, schwamm zum Boot und lief über das Deck an den versammelten Mitarbeitern vorbei zum Ausgang. Wieder angezogen und zurück an Bord, stellten ihn Vorgesetzte zur Rede – der 33-Jährige bekam nach einer Anhörung des Betriebsrates die Kündigung. An diesem Dienstag fanden sich Marius S. und seine Arbeitgeberin in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf wieder (Az. 3 Sa 211/23). Die Vorinstanz hatte der Kündigungsschutzklage bereits stattgegeben (Arbeitsgericht Düsseldorf, Urt. v. 07.03.2023, Az. 16 Ca 4079/22).


Der Mann war seit dem 1. Januar 2021 als Trainee zum Verkauf von Neuanlagen in der Region West beschäftigt. Diese Region gelte als Party-Region des Unternehmens, erzählte der Mann im Gerichtssaal. An dem Tag der Betriebsfeier im September 2022 sei der Pegelstand des Rheins mit 1,20 Metern gering gewesen, er sei nur an der Längsseite, dem Ufer zugewandten Seite entlang geschwommen und habe nur Spaß haben wollen. Für den zu sorgen, dafür sei die Region West, der er zugehörte, bekannt.


Die Arbeitgeberin fand das Verhalten jedoch gar nicht witzig. Der Mitarbeiter habe sich selbst und andere, die ihn möglicherweise hätten retten wollen, gefährdet – und habe daher den Betriebsfrieden gestört. Die Stimmung auf der Feier sei nach dem Zwischenfall jäh gekippt. Die Arbeitgeberin hörte also den Betriebsrat an und kündigte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats drei Tage nach der Feier fristlos. 


Fehler bei der Anhörung des Betriebsrats

Allerdings – und hierüber könne gut in einer mündlichen Prüfung diskutiert werden, meint der Vorsitzende Richter am LAG Olaf Klein – hatte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat dabei fehlerhafte Angaben gemacht: Sie hatte laut Klein "mindestens grob fahrlässig" falsche Informationen zum Sozialstatus übermittelt. Denn der Mann ist verheiratet, die Arbeitgeberin bezeichnete ihn als ledig. 


Außerdem behauptete das Unternehmen, Marius S. sei nackt in den Rhein gesprungen. Tatsächlich war er mit einer Unterhose bekleidet und in den Rhein "gewatet", wie er bei der Verhandlung selbst darstellte. 


Doch liegt darin schon eine Irreführung des Betriebsrates, die eine außerordentliche Kündigung unwirksam macht? Ist hier die Grenze zwischen einer falschen Darstellung zur bewussten Irreführung überschritten? 


Ja, sagte schon das ArbG – und zu dieser Einschätzung neigte auch LAG in seinen rechtlichen Ausführungen: "Diese Aussage war objektiv falsch", so Richter Klein. Aber war die Frage der Nacktheit denn entscheidend? 



Störung des Betriebsfriedens oder Selbst- und Fremdgefährdung 

Das kommt darauf an, wie die Arbeitgeberin die außerordentliche Kündigung begründet. Gegenüber dem Betriebsrat hatte sie angegeben, der Mitarbeiter habe sich selbst und andere gefährdet. Dafür wäre die Bekleidungsfrage unerheblich. Im Prozess hingegen stellte das Unternehmen darauf ab, dass der Mitarbeiter den Betriebsfrieden gestört habe – und dafür ist die Bekleidungsfrage sehr wohl entscheidend. 


Auch wenn Marius S. unstreitig bekleidet war – "wenn auch spärlich", so Richter Klein, sei die Betriebsratsanhörung damit doch fehlerhaft gewesen, die außerordentliche Kündigung unwirksam. 


Der Vorfall mit dem Flamingo 

Doch die Geschichte im Rhein war nicht die einzige, die das Unternehmen dem 33-Jährigen vorwarf. Es habe schon einige Monate vorher bei einem Firmenevent in Berlin einen Vorfall gegeben, der zu einer Ermahnung geführt habe. Zwei Tage feierten die Beschäftigten bei dieser Veranstaltung, am ersten Tag unter sich – wobei streitig ist, ob abends auch Kunden dazu kamen – der zweite Tag war ein Kundenevent, bei dem Marius S. nicht anwesend war. 


Doch wie auch beim Partyboot in Köln hatten die Beschäftigten schon am ersten Tag Bändchen bekommen, die für sie kostenlosen Alkoholausschank an der Rooftop-Bar sicherstellten. In der Bar standen auch zwei lebensgroße pinke Deko-Flamingos – und die Stimmung sei ausgelassen gewesen. Marius S. habe einen Flamingo hochgehoben, dabei sei der wohl etwas beschädigt worden, sagt er selbst. Er sei mit dem Flamingo nach unten gegangen und habe im Fotoautomaten ein Bild mit dem Tier gemacht – und ihn dann zurückgebracht. 


Gut sei das Bild nicht geworden, und einige Tage später habe ihn sein Chef im Rahmen eines Zielvereinbarungsgesprächs gesagt, er solle so etwas nicht machen, wenn die "großen Chefs aus Berlin" dabei seien. 


Das Unternehmen – und auch das Gericht – wertete dies als arbeitsrechtliche Ermahnung. Eine Abmahnung gab es für die Aktion nicht. Dafür aber viel Resonanz von den Kollegen, die in der Folge bei Online-Meetings durchaus mal rosa Flamingos in die Kamera gehalten hätten. Die 400 Euro Kosten wegen der Beschädigung sei dem Unternehmen mit den 8.500 Euro für den Abend bei rund 150 Mitarbeitern in Rechnung gestellt worden. Marius S. habe dafür aber eine entsprechend hohe Zielvereinbarung bekommen, die den Betrag ausgleichen sollte. 


Klassenclown geht zurück ins Unternehmen 

Marius S. sagte an diesem Tag im Gerichtssaal: "Wenn mir das Unternehmen damals schon gespiegelt hätte, dass das nicht ok war, wäre es vielleicht nicht zu dem Vorfall am Rhein gekommen." Überzeugt war Richter Olaf Klein von dieser Einlassung nicht: "Sie haben den Status des Klassenclowns übernommen, und so clownesk wünscht man es im Unternehmen nicht." 


Mehrfach und eindringlich schlug der Richter einen Vergleich vor, der Abfindungsbetrag sei sicherlich mangels Vorliegens einer rechtmäßigen Kündigung hoch. Doch Marius S. ging nicht darauf ein: Er will weiter für diese Arbeitgeberin tätig sein. 


Und so kommt es nun tatsächlich: Am Montag um 8 Uhr wird der 33-Jährige seinen Arbeitsplatz wieder antreten. Die Parteien schlossen einen entsprechenden Vergleich – eine Alternative gab es für die Arbeitgeberin nicht. Sie hätte ihren Mitarbeiter abmahnen können, vermutlich schon beim Flamingo-Vorfall, doch ohne dies und ohne ordentliche Unterrichtung des Betriebsrates wäre sie bei einem Urteil unterlegen. 


Selbst der letzte Anker, der noch gestellte Auflösungsantrag nach § 9 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) konnte nicht durchgehen. Danach kann das Gericht auf Antrag das Arbeitsverhältnis beenden, wenn eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu erwarten ist. Das funktioniert allerdings nur, wenn andere als die bei der ordentlichen Kündigung nicht relevanten Gründe vorliegen – wie etwa neue Beleidigungen oder Lügen im Gerichtsverfahren selbst. 


So aber geht es für die Beteiligten am Montag weiter. Marius S. zeigte sich optimistisch: "Ich werde mich bemühen." 


Quelle: mk/LTO-Redaktion

3. BAG zur Video­über­wa­chung am Arbeits­platz

Auch unzulässige Videoaufnahmen auf dem Betriebsgelände können zum Beweis eines vorsätzlichen Fehlverhaltens gerichtlich verwertbar sein, wenn auf die Überwachung hingewiesen worden ist. 


Kann eine gegen Datenschutzregeln verstoßende Videoüberwachung des Arbeitsplatzes zur Dokumentation eines Fehlverhaltens im Kündigungsschutzprozess verwertet werden – oder gilt zugunsten des Arbeitnehmers ein Beweisverwertungsverbot?


Überwacht der Arbeitgeber den Arbeitsplatz mit einer Kamera und weist er durch Schilder darauf hin, ist die Videoaufzeichnung in einem späteren Kündigungsschutzprozess zum Beweis eines Fehlverhaltens verwertbar, entschied am Donnerstag das Bundesarbeitsgericht (BAG) (Urt. v. 29.06.2023, Az. 2 AZR 296/22). Dies gelte auch dann, wenn die Überwachung gegen Datenschutzrecht verstoßen sollte.


Ein, in einer Gießerei beschäftigter, Mann soll vor Schichtbeginn das Werksgelände wieder verlassen und später trotzdem Lohn für die Schicht kassiert haben. Ein schwerer, womöglich sogar strafrechtlich relevanter Vorwurf, der zur sofortigen Kündigung berechtigen könnte. Das hatte zumindest der Werksbetreiber so gesehen und dem Arbeitnehmer fristlos, hilfsweise ordentlich, gekündigt. Ein anonymer Hinweis hatte den Arbeitgeber auf ein Video einer am Tor des Geländes angebrachten Überwachungskamera gestoßen, welches den vorzeitigen Feierabend des Mannes belegen sollte.


Videoaufnahmen zu lange gespeichert

Der Mann reichte Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein und trug vor, ordnungsgemäß zur Arbeit erschienen zu sein. Als der Werksbetreiber das Video zum Beweis des "wichtigen Grundes" zur Kündigung in die Verhandlung einführen wollte, widersprach der Mann der Verwertung der Aufzeichnung.


Die Überwachung verstoße gegen Bundes- und EU-Datenschutzrecht. Auch seien die Aufnahmen zu lange gespeichert worden: Hinweisschilder hätten eine Speicherdauer von 96 Stunden ausgewiesen, die hier überschritten worden sei. Zudem hatte in einer Betriebsvereinbarung gestanden, dass die Videoaufzeichnungen nicht zur Auswertung personenbezogener Daten verwendet werden dürfen.


Aus diesen Verstößen sowie der Betriebsvereinbarung folgerte der Arbeitnehmer, dass die Aufzeichnungen im Kündigungsschutzprozess einem Verwertungsverbot unterlägen. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen schlossen sich dieser Auffassung an und gaben der Kündigungsschutzklage statt (Urt. v. 06.07.2022, Az. 8 Sa 1149/20).


BAG bekräftigt: Datenschutz ist kein Täterschutz

Das BAG sah dies nun anders, hob die Entscheidung des LAG auf und verwies die Sache an dieses zurück. Es spiele "keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach", heißt es in einer Pressemitteilung des BAG. Einer Verwertung der personenbezogenen Daten des Arbeitnehmers durch die Gerichte für Arbeitssachen stehe die DSGVO nicht entgegen. Das gelte jedenfalls dann, wenn – wie hier – ein vorsätzliches Fehlverhalten in Rede stehe und die Videokamera durch ein Schild ausgewiesen "und auch sonst nicht zu übersehen" sei.


Ein möglicher Datenschutzverstoß – über den das Gericht aufgrund seiner Rechtsauffassung hier nicht abschließend entscheiden musste – führt laut BAG also nicht automatisch zum Beweisverwertungsverbot. Vielmehr müsse das Tatsachengericht – wie bei nicht normierten Verwertungsverboten im Strafprozess auch – die widerstreitenden Interessen abwägen.


Im Prozess um eine fristlose Kündigung wegen eines vorsätzlichen Fehlverhaltens wiegt das Interesse nach Auffassung des BAG des Arbeitgebers an der Aufklärung des Sachverhalts stärker als die Datenschutzinteressen des Arbeitnehmers. Dies sei nur dann nicht der Fall, "wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall", so die Pressemitteilung des BAG. Als maßgebend dafür erachteten die Erfurter Richter u.a. die Offenkundigkeit der Überwachung.


Quelle: mk/LTO-Redaktion

4. Schwanger zum Zeitpunkt der Kündigung?

Bundesarbeitsgericht: 280 und nicht nur 266 Tage Rückrechnung bis zum Schwangerschaftsbeginn

Einer schwangeren Arbeitnehmerin darf nicht gekündigt werden. 


Der Zeitpunkt für den Beginn des Kündigungsverbots während einer Schwangerschaft ist im Mutterschutzgesetz (MuSchG) nicht näher definiert. War bei der Kündigung noch nicht klar, dass die Mitarbeiterin schwanger ist, muss ein Rechenmodell herhalten, um den wahrscheinlichen Schwangerschaftsbeginn zu bestimmen.



Das Bundesarbeitsgericht BAG, Urteil vom 24. November 2022, Az: 2 AZR 11/22 

vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass dafür vom voraussichtlichen Entbindungstermin 280 Tage zurückzurechnen ist. In einem aktuellen Urteil hat es deutlich gemacht: Es gibt keinen Grund von dieser Berechnungsmethode abzuweichen. Die Schwangerschaftsberechnung des LAG Baden-Württemberg hielt das BAG für falsch. 


Der Fall: 

Schwangere Arbeitnehmerin wehrt sich gegen Kündigung


Im konkreten Fall kündigte der Arbeitgeber einer Mitarbeiterin fristgerecht innerhalb der Probezeit zum 23. November 2020. Die Beschäftigte klagte gegen ihre Kündigung. Im Dezember reichte ihr Anwalt eine Schwangerschaftsbestätigung nach. Diese stammte von der Frauenärztin der Arbeitnehmerin, die am 26. November 2020 bestätigte, dass diese sich in der sechsten Schwangerschaftswoche befinde. Im Januar wurde eine ärztliche Bescheinigung über den voraussichtlichen Geburtstermin am 5. August 2021 nachgereicht.


Sonderkündigungsschutz: Schwanger zum Zeitpunkt der Kündigung?

Die gekündigte Arbeitnehmerin machte geltend, dass die Kündigung wegen des Kündigungsverbots während einer Schwangerschaft gemäß § 17 Abs. 1 Nr.1 MuSchG unwirksam sei. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei sie bereits schwanger gewesen, wovon sie noch nichts gewusst habe. Direkt als sie davon erfuhr, habe sie dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung nicht schwanger war. Jedenfalls sei die Mitteilung an den Arbeitgeber zu spät erfolgt.



LAG: Zum Zeitpunkt der Kündigung keine Schwangerschaft

Das LAG Baden-Württemberg erklärte die Kündigung für wirksam. Einen Verstoß wegen § 17 Abs. 1, Nr. 1 MuSchG erkannte es nicht. Das Gericht rechnete dafür 266 Tage vom voraussichtlichen Entbindungstermin zurück und errechnete als Schwangerschaftsbeginn den 12. November 2020. Dies war vier Tage nach Zugang der Kündigung. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Arbeitnehmerin somit noch nicht schwanger. Rückrechnung zum Schwangerschaftsbeginn nur 266 Tage


Das LAG Baden-Württemberg 

folgte damit nicht der ständigen BAG-Rechtsprechung in Bezug auf die Berechnung einer Schwangerschaft. Bei der Berechnung des Schwangerschaftsbeginns dürfe laut LAG nur 266 Tage vom Entbindungstermin zurückgerechnet werden. Das Gericht begründete das damit, dass der durchschnittliche Zeitpunkt des Eisprungs beim 12. bis 13. Zyklustag liegt.


Das Rechenmodell des BAG, wonach vom ärztlich berechneten voraussichtlichen Entbindungstermin 280 Tage zurückzurechnen ist, überdehne den Schutzzeitraum des § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG. Die Norm solle nur tatsächlich Schwangere schützen. Die 280 Tage beziehen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen aber auch unwahrscheinliche Schwangerschaften ein.


BAG: 280 Tage Rückrechnung bis zum Schwangerschaftsbeginn

Das BAG kassierte das LAG-Urteil und verwies es zur erneuten Entscheidung zurück. In seinem Urteil stellte es fest, dass es seine Rechtsprechung aufrechterhält: Das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin. Das LAG Baden-Württemberg habe die Kündigung der schwangeren Arbeitnehmerin fehlerhaft für wirksam gehalten, indem es auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer (266 Tage) abgestellt habe.


Richtig sei die Berechnung mit 280 Tagen. Dies sei die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann, begründete das oberste Arbeitsgericht seine Entscheidung. Dem BAG war dabei klar, dass diese Berechnung auch Tage einbezieht, bei denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist - aber eben auch nicht völlig ausgeschlossen.


Kündigungsverbot zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen 

Gerade auch im Hinblick auf EU-rechtliche Vorgaben der Mutterschutzrichtlinie hielten die Richter es für geboten, von der für Arbeitnehmerinnen günstigsten Berechnungsmethode auszugehen - auch wenn sich Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden ließen. Die Berechnungsmethode für die Bestimmung des Kündigungsverbots wegen Schwangerschaft diene vor allem dem Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen. Es gehe nicht um die tatsächliche - naturwissenschaftliche - Berechnung des Schwangerschaftsbeginns im konkreten Fall, korrigierte das BAG die Vorinstanzen.


Hinweis: BAG, Urteil vom 24. November 2022, Az: 2 AZR 11/22; Vorinstanzen: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Dezember 2021, Az: 4 Sa 32/21, Arbeitsgericht Heilbronn, Urteil vom 15. April 2021



Quelle: Haufe Online Redaktion

5. Drei­jah­res­frist für Urlaubs­ab­gel­tung bleibt

Urlaub verjährt nicht automatisch, das entschied das BAG im Dezember. Aber wie ist es mit der Auszahlung von nicht genommenem Urlaub nach einem Jobwechsel? Die Antwort darauf gab das BAG am 31.01.2023.


Oft kommt es nach einem Jobwechsel oder einer Kündigung zum Streit über offene Urlaubsansprüche, die Arbeitnehmer bezahlt haben wollen. In seinem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Dienstag klargestellt, dass bei finanziellen Abgeltungsansprüchen für nicht genommenen Urlaub nach Ende eines Arbeitsverhältnisses auch weiterhin eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt (Urt. v. 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20).


Die Erfurter Richter sorgten damit für eine Klarstellung im deutschen Urlaubsrecht. Verhandelt wurde ein Fall aus Niedersachsen.


Arbeitnehmer, die nach einem Urteil der höchsten deutschen Arbeitsrichter vom Dezember (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20) auf einen Wegfall auch der Verjährungsfrist bei Abgeltungsansprüchen gehofft hatten, wurden enttäuscht. Allerdings räumte das Gericht für Altfälle eine Übergangsfrist von 2018 bis 2021 ein, wie der Vorsitzende Richter Heinrich Kiel deutlich machte.


Reaktion auf EuGH-Rechtsprechung

Die Richter reagierten damit auf die in den vergangenen Jahren geänderte Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen. 2018 hatte der Europäische Gerichtshof dazu entschieden, ein Jahr später das BAG. Normalerweise beginnen die Fristen am Ende des Kalenderjahres, in dem Urlaubsansprüche strittig sind.


Kurz vor Weihnachten hatte das BAG geurteilt, dass Urlaub in einem bestehenden Arbeitsverhältnis nicht verjähren kann, wenn Arbeitgeber ihrer Informationspflicht nicht nachkommen. Sie müssen ihre Beschäftigten auf ihre Urlaubsansprüche hinweisen und warnen, dass sie verfallen, wenn kein Urlaubsantrag gestellt wird. Damit wurde eine EuGH-Entscheidung in deutsches Recht umgesetzt.


Manche Arbeitgeber befürchteten danach eine Klageflut wegen der Bezahlung offener Urlaubsansprüche aus seit Jahren beendeten Arbeitsverhältnissen. Arbeitnehmer würden vor allem nach dem Ende von Arbeitsverhältnissen Geld für offene Urlaubsansprüche einklagen - bei laufenden Arbeitsverhältnissen spiele die Sorge um den Job eine stärkere Rolle, erklärte der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing.


Nicht Erholungszweck, sondern Geld steht im Vordergrund

Den Bestand der dreijährigen Verjährungsfrist bei Abgeltungsansprüchen aus beendeten Arbeitsverhältnissen begründete Kiel damit, dass es nicht um den wichtigen Erholungszweck, sondern einen "reinen Geldanspruch" gehe, also den finanziellen Ausgleich für Urlaub. Zudem gebe es für Arbeitnehmer nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses keinen Druck mehr, möglicherweise auf Urlaub zu verzichten.


Den Präzedenzfall für die Entscheidung lieferte ein Fluglehrer und Pilot aus Niedersachsen, der für nichtgenommenen Urlaub von 2010 bis 2015 insgesamt 44.899 Euro von seinem Arbeitgeber verlangte - mit Erfolg für einen Teil der Jahre. Ihm wurden 37.416 Euro zugesprochen.


Quelle: dpa/ku/LTO-Redaktion

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